THEORIE » PRAXIS

  1. Institutionelle Umsetzung der
    CHAGAL Leitlinien für studien-
    vorbereitende Einrichtungen
  2. Chagal Guidelines & Sprachunterricht
    für chinesische Studierende:
    von der Theorie zur Praxis

Chagal Guidelines & Sprachunterricht für chinesische Studierende: von der Theorie zur Praxis

Einleitung

Dass mit dem Fremdsprachenunterricht den Lernenden auch eine Zielkultur vermittelt wird, ist allgemein bekannt. Hier stellt Kultur Inhalt dar. Die Studierenden sollen Wissen über eine Zielkultur erwerben. Weniger üblich ist die Berücksichtigung jener Kultur, die die Lernenden in den Fremdsprachenunterricht mitbringen und deren Beziehung zur Zielkultur. Dabei hat die Herkunftskultur der Studierenden einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Abläufe im Unterricht, da sie als wichtiger Faktor bestimmt, wie die Lehrenden und die Lernenden den Lernvorgang erleben und wie sie die Rolle der jeweils anderen Seite und deren Leistungen im Unterricht bewerten. (Jin & Cortazzi :1998, S.9; kursive Hervorhebung durch die Verfasserin)

Die kulturellen Bedingungen, unter denen Englisch als Fremdsprache unterrichtet wird, haben sich seit den späten Neunzigerjahren wesentlich geändert. Damals kamen erstmals viele chinesische Studierende in englischsprachige Länder, um dort Englisch zu lernen. Ziel des anlässlich der Chagal Set-Up-Veranstaltung im April 2005 gehaltenen Referats war es,

Hintergrund

Bei Ankunft der ersten chinesischen Studierenden meinten Lehrende und Schulen, die Englisch als Fremdsprache unterrichten, dass eine sensible Einstellung gegenüber den Bedürfnissen der Lernenden ausreichen würde, um im Unterricht erfolgreiche Interaktionen sicherzustellen. In der großen Mehrzahl der englischen Sprachschulen war dies bei Lernenden mit chinesischer Muttersprache jedoch nicht der Fall. Was die beim Unterricht chinesischer Studierender erlebten Herausforderungen betrifft, ist das Feedback von EnglischlehrerInnen aus Australien, Neuseeland, England, Kanada und Irland fast identisch (Jean Brick: 1996; Jin & Cortazzi: 1998, Untersuchungen der Autorin 2003).

Genau so wichtig ist das von chinesischen Studierenden erhaltene Feedback (Untersuchungen der Autorin; Jin & Cortazzi, 1998) über ihre Erfahrungen mit dem Lernprozess in englischsprachigen Ländern. Die folgende Tabelle enthält Beispiele solchen Feedbacks in Form direkter (aus dem Chinesischen übersetzter) Zitate von Studierenden und Lehrenden.

Feedback englischsprachiger Lehrender über chinesische Studierende

 

Feedback chinesischer Studierender über muttersprachliche EnglischlehrerInnen und deren Unterricht.

Wenn die chinesischen Studierenden mit einfachen grammatikalischen Strukturen, mit denen sie konfrontiert werden, nicht zurecht kommen, verlangen sie komplexere grammatikalische Strukturen.

Die englischsprachigen Lehrenden kennen die Grammatik nicht. Chinesische Lehrende sind Grammatikexperten.

 

Chinesische Studierende lehnen Paar- und Gruppenarbeit ab.

 

 

Paararbeit ist „sinnlos”. Von Mitschülern kann ich nur Fehler lernen. Es ist Aufgabe des/der Lehrenden, als Vorbild zu wirken (Jin & Cortazzi:1998 und Untersuchungen der Autorin).

Chinesische Studierende sind nicht bereit, aus einem Kontext heraus Fragen zu beantworten oder die Bedeutung von Wörtern zu erraten.

 

Die muttersprachlichen Lehrenden bieten keinen gut strukturierten Unterricht. Sie springen von einer Sache zur nächsten und verwenden Fotokopien, Bücher und Spiele. Das ist verwirrend.

Chinesische Studierende hängen an ihren elektronischen Wörterbüchern und verschwenden wertvolle Zeit, indem sie jedes Wort nachschlagen.

Muttersprachliche Lehrende verschwenden im Unterricht Zeit mit Zeitunglesen und Spielen. Das ist kein ernsthafter Unterricht.

Chinesischen Studierende scheinen keine eigene Meinung zu haben.

 

 

Muttersprachliche Lehrende haben die Klasse nicht unter Kontrolle. Die Studierenden gehen herum, unterbrechen die Lehrenden oder stellen sogar die Aussagen der Lehrenden in Frage.

Diese Tabelle enthält deutliche Beispiele dafür, wie jede „Seite“ die Rolle und die Leistungen der jeweils anderen bewertet. Wie der Inhalt der Tabelle zeigt, fallen diese Bewertungen nicht besonders positiv aus. Stellt man dieses Feedback jedoch in einen interkulturellen Kommunikationsrahmen, ergeben sich Lösungen zur Überwindung der gegensätzlichen Erwartungen und können mögliche Vorgangsweisen gefunden werden. Die folgenden Diagramme zeigen das „Transmissions“-Modell, das in China im Englischunterricht Standard ist, sowie das „Akquisitions“-Modell (Jin & Cortazzi, 1998), das im Unterricht von Englisch als Fremdsprache in englischsprachigen Ländern allgemein Verwendung findet.


Abbildung 1: Ein der chinesischen Kultur entsprechendes Modell für den Englischunterricht


Abbildung 2: Ein der westlichen Kultur entsprechendes Modell für den Fremdsprachenunterricht
Aus Jin and Cortazzi, 1998, S.102-103

Für chinesische Studierende sind Buch und Lehrer/in die maßgebenden Quellen allen Lernens (Jin & Cortazzi, 1998, Brick, 1996, Maley, 19987). In englischsprachigen Ländern werden die chinesischen Studierenden plötzlich mit einem Unterrichtsmodell konfrontiert, das sie nicht verstehen, sowie mit einem Lernstil, mit dem sie keine oder kaum Erfahrung haben.

Bedenkt man, dass in China im Englischunterricht im Durchschnitt zwischen 40 und 60 SchülerInnen in einer Klasse sitzen, wird sofort klar, dass kommunikative Lehrmethoden für chinesische Lehrende kaum anwendbar sind und Klassen bei lehrerzentriertem Unterricht leichter „kontrolliert“ werden können. Die chinesischen Studierenden sind daher verunsichert, wenn muttersprachliche EnglischlehrerInnen ankündigen, dass sie das Buch eine Woche lang nicht verwenden werden, oder wenn sie ihre zentrale Position als UnterrichtsleiterIn aufgeben und durch die Klasse gehen und eine beobachtende Rolle übernehmen.

Aus der Verunsicherung wird manchmal Ärger, wenn die Studierenden meinen, der/die Lehrende erfülle ihre/seine Aufgaben nicht ordentlich und verschwende damit ihre Zeit (und das schwer verdiente Geld ihrer Familie). Damit sehen sich Lehrende, die Englisch als Fremdsprache unterrichten, mit der Frage konfrontiert, wie sie den Unterricht „zum Funktionieren“ bringen und die Studierenden „überzeugen“.

Wie bei allen interkulturellen Erfahrungsabläufen ist dies ein wechselseitiger Prozess. Die Lehrenden müssen sich ihren Unterrichtsstil ansehen und zur Kenntnis nehmen, dass er einen bestimmten kulturellen Rahmen zur Grundlage hat. Um ethnozentrische Haltungen zu vermeiden, werden die Lehrenden angewiesen, nicht zu fragen, wie „sie die ChinesInnen dazubringen, dies oder jenes zu tun“, sondern wie sie den neuen kulturellen Rahmen im Unterricht sichtbar machen und die Studierenden davon überzeugen können, dass tatsächlich „echtes Lernen“ stattfindet.

Seit Beginn meiner eigenen Forschungsarbeiten habe ich versucht, bei der Planung des Unterrichts vom “Transmissions”-Modell auszugehen und allmählich auf das “Akquisitionsmodell” überzugehen. Der Grund dafür liegt nicht darin, dass das eine Modell besser als das andere ist. Beide haben Stärken und Schwächen. Von den chinesischen Studierenden wird jedoch erwartet, dass sie in englischsprachigen Schulen und Universitäten mit dem Akquisitions- bzw. kommunikativen Modell arbeiten und sie werden auch entsprechend diesem System bewertet und benotet. Kulturell bedingt, erwarten die chinesischen Studierenden, dass ein „guter“ Lehrer ihnen erfolgreiche Modelle nahe bringt. Daher sind die meisten Studierenden für Vorschläge, wie sie ihre akademischen Ziele erreichen können, offen, vorausgesetzt, die Strategien werden deutlich auf ihre konkreten Ziele ausgerichtet.

Um den Lehrenden bei der Verwendung von „Überbrückungsstrategien“ zwischen den beiden Methoden zu helfen, habe ich einige Unterrichtspläne konzipiert. Diese können von den Lehrenden, sobald sie sich mit der Technik vertraut gemacht haben, im eigenen Unterricht umgesetzt werden. Dieser Ansatz wird natürlich in der ersten Eingewöhnungsphase verwendet (unter Berücksichtigung der Phasen des „Kulturschocks“, Oberg, 1960, Brown, 1986; Burgoon, 1995), um den Studierenden entgegen zu kommen und sie zu motivieren, bis sie sich sicher genug fühlen, um mit den neuen Lern- und Lehrstilen zurecht zu kommen.

Ein Beispiel eines Unterrichtsplans:

DIKTAT

Die SchülerInnen erhalten ein kurzes Diktat, d.h. einen oder zwei Absätze. Am Ende des Diktats schreibt man den Text auf die Tafel oder verteilt Kopien davon an die Studierenden. Die Studierenden werden aufgefordert, die Originale zu verbessern und als Hausübung die Fehler nochmals durchzusehen. Danach folgen Wiederholungen im Chor – jeder Satz wird laut vorgelesen, dann werden die SchülerInnen aufgefordert, ihn zu wiederholen (zur Übung der Aussprache und der Intonation). Danach werden sie gebeten, jene Wörter zu nennen, die sie nicht verstehen. Wenn sie zögern (Probleme angehen, Chang & Holt, 1994; Goffman, 1967, Ho, 1976), wählt man einige Wörter aus, die schwierig erscheinen. Diese schreibt man auf die Tafel und zeigt den Lernenden, wie man sie in einem einsprachigen Wörterbuch nachschlägt (Wörterbücher für die Klasse in den Unterricht mitbringen). Dann soll ein/e StudentIn an die Tafel kommen und die Definition auf die Tafel schreiben (so ermutigt man sie – nach „westlichen“ Begriffen – die Grenze zwischen „aktiv“ und „passiv“ zu überschreiten.
Zwei Tage später (den Studierenden vorher ankündigen!), gibt man dasselbe Diktat nochmals und überprüft die Zahl der Fehler. Die Studierenden werden sehen, dass die Fehlerzahl nun wesentlich geringer ist (da sie ihre traditionelle Fähigkeit des Auswendiglernens verwendet haben, um sich den Text Wort für Wort einzuprägen). Damit ermutigt und motiviert man die Studierenden.

Als weitere abschließende Übung wählt man jene Wörter aus, die ursprünglich Probleme bereiteten und fordert die Studierenden auf, diese Wörter zu erklären. Man gibt ihnen für jedes Wort einen Beispielsatz. Dann fordert man die SchülerInnen auf, selbst einen weiteren Satz unter Verwendung des Wortes zu bilden (wenn sie noch unsicher sind, dürfen sie ein einsprachiges Wörterbuch verwenden).
Chinesische Studierenden schreiben gerne Diktate, da sie meinen, damit sowohl ihr Hörverstehen als auch ihre Schreibfähigkeit zu verbessern.

ANALYSE DES UNTERRICHTS

Zu den vom “westlichen” Standpunkt aus in den Unterricht eingebrachten positiven Elementen zählt, dass die Studierenden „aktiv“ sind, sich gelegentlich im Klassenraum (zur Tafel) bewegen und sich damit an diese Anforderung gewöhnen. Der/die Lehrende ermutigt die Studierenden, (nach westlichem Begriff) die Initiative zu ergreifen, indem er/sie die Studierenden auffordert, Fragen zu stellen und Vorschläge zu machen. Durch die Verwendung einsprachiger Wörterbücher fühlen sich die Studierenden allmählich sicher genug, auch ohne elektronische Wörterbücher auszukommen, die immer ins Chinesische zurück übersetzen.

Den chinesischen Studierenden kommt hinsichtlich ihrer eigenen Lernkultur entgegen, dass durch das Diktat ein korrektes Vorbild/korrekte Antworten vorgegeben werden. Sie haben damit die Möglichkeit, den Text vor der Wiedergabe auswendig zu lernen. Die Studierenden hören dem/der Lehrenden zu (nach chinesischem Begriff lehrerzentriert, nach westlichem Begriff aktivitätszentriert). Als bekannte Lerntechnik wird das Nachsprechen im Chor verwendet, und schließlich wird den Studierenden eine neue Fertigkeit vermittelt, die ihren Wortschatz erweitert und zielsprachenorientiert ist: die Verwendung eines einsprachigen Wörterbuchs.

Es ist jedoch zu bedenken, dass keine Kultur statisch ist. Die muttersprachlichen Englischlehrenden erfahren allmählich mehr über China und ihre chinesischen Studierenden. Gleichzeitig läuft ein ähnlicher Prozess bei chinesischen Studierenden hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit ausländischen Unterrichtsmethoden ab. Es besteht allerdings die Gefahr, dass dieser Informationsaustausch (unter Lehrenden und unter Studierenden) gelegentlich nur anekdotenhaft bleibt und eher negative Stereotypen verstärkt als Lösungen ermöglicht. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Debatte innerhalb von Strukturen, die auf einer interkulturellen Kommunikationstheorie aufbauen, erfolgt. Damit kann der/die Lehrende in den Hintergrund treten und den sich ergebenden Herausforderungen mit Verständnis statt wertend begegnen.

Schließlich entspricht diese Forschungsarbeit den Chagal-Guidelines, da sie die Meinungen und Lernstile einer nicht-traditionellen/internationalen Studierendengruppe berücksichtigt und eine integrative Methodologie zu verwenden sucht, die der Gruppe die Teilnahme am Lernprozess ermöglicht. Die Chagal-Guidelines sind in der englischen Version in Buchform erhältlich (zu bestellen über: margarete.kernegger@vwu.at). Chagal-Guidelines können von Sprachschulen und Universitäten als Leitfaden herangezogen werden, um für Schüler- und StudentInnengruppen vom Chagal-Typ die Wahl der effektivsten Methode sicherzustellen.

Bibliographie

Brick, J, (1996) China: A handbook in Intercultural Communication. NSW Australia: National Centre for English Language Teaching and Research, Macquarie University, Sydney NSW

Brown (1986) Learning a Second Culture in Culture Bound: Bridging the Cultural Gap in Language Teaching. (ed) Joyce Merrill-Valdes CUP: UK

Brown, & Levinson (1987), Politeness: Some universals in Language Usage.Cambridge: Cambridge University Press

Burgoon, J.K. (1995), Cross-cultural and intercultural applications of expectancy violations theory in R. Wiseman (ed), Intercultural Communication Theory. Thousand Oaks, CA: Sage

Byram & Fleming (1998), Introduction p.9 In Learning in Intercultural Perspective: Approaches through drama and ethnography CUP:U.K Cambridge

Byram, M (1989), Cultural Studies in Foreign Language Education Multilingual Matters Ltd: UK, Clevedon, USA Philadelphia

Chang & Holt (1994), A Chinese Perspective on Face as Interelational Concern, in The Challenge of Facework: Cross-cultural and Interpersonal Issues,(Ed) Stella Ting-Toomey. State University of New York: Albany

Doyle, D (2003) MA thesis ‘Understanding Chinese Students & Agents in the TEFL Context: applying intercultural communication theory to enhance classroom & business encounters. Dublin City University, Dublin 9 , Ireland. (unpublished)

Jin & Cortazzi (1998), The culture the learner brings: a bridge or a barrier? In Language Learning in Intercultural Perspective: Approaches through drama and ethnography CUP: U.K Cambridge. (Eds) Byram & Fleming

Goffman, E (1967), Interaction ritual: Essays on face-to-face interaction. Garden City, New York: Doubleday

Ho, D (1976), On the Concept of Face. American Journal of Sociology. 81, 867-884

Hofstede, G (1991), Cultures and Organizations: Intercultural Cooperation and its Importance for Survival, Software of the Mind. Harper Collins Business, London: Hammersmith (ed 1994)

Kim Y & Rubens B. (1988) Intercultural Tranformation: A Systems Theory in Y. Kim & W. Gudykunst (Eds) Theories in Intercultural Communication. Newbury Park, CA: Sage

Maley, A (1986) ‘Xanudu’- “A miracle of rare device”: the teaching of English in China in Culture Bound: Bridging the Cultural Gap in Language Teaching. (Ed) Joyce Merrill-Valdes CUP: UK

Oberg, K (1960), “Culture Shock: adjustment to new cultural environments”, Practical Anthropology 7, 177-82

© Dee Doyle, 2005

Kontakt: Dee DOYLE
DCU Language Services
dee.doyle@dcu.ie

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